Die amerikanische Einfalt - entzauberter Mythos

Suze

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Citizen
Jetzt erst gelesen, aber wirklich sehr interessant - und fuer viele zutreffend, finde ich
 

Lileigh

Well-Known Member
Citizen
Mein Mann wuchs aehnlich auf und erst die Jahre in Europa haben seine Sichtweise sehr veraendert. Entsprechend war dann der Kulturschock fuer ihn nach 10 Jahren.
Man sieht diesen Patriotismus vor allem hier im Sueden und wir sind jetzt nicht im tiefsten Sueden. Obwohl unser county eher demokratisch und progressive ist, sind die Stimmen der erzkonservativen extrem laut. Jeder Schritt nach vorne, wird bekaempft, denn es ist ja alles socialism/communism/liberalism/und was auch immer, sprich evil und muss direkt im Keim erstickt werden.
Vieles kommt eben von Menschen, die nie ueber die Landesgrenze und auch andere Nachbarstaaten hinauskamen. Das Bild, das sie von der Welt haben, ist manchmal echt erschreckend.

Ganz aktuell hatten wir gestern beim Abendessen die Diskussion bzgl. Geschichtsunterricht. Ich nutze social media um unter anderem auch bestimmten Organisationen zu folgen, z.B. Auschwitz Memorial. Da wurde neulich ein Artikel ueber den Holocaust verlinkt und das mehr und mehr amerikanische millenials, glaub' 2/3, keine Ahnung darueber hatten und was das ueberhaupt sei. Gut, ich weiss jetzt nicht was man da nun als millenial bezeichnet (da werden ja mittlerweile 40 jaehrige und 15 jaehrige alle in einen Topf geworfen).
Ich hatte jedenfalls meinen Sohn ueber sein Wahlfach Weltgeschichte ausgefragt, welches er ein ganzes Schuljahr in der High School hatte. Man hat Pangaea bis aktuelle Ereignisse durchgenommen. Er hatte maximal 45 Minuten, in denen das Dritte Reich angesprochen wurde. Aehnlich verlief es auch mit anderen Ereignissen. Ueber andere Laender hat er so gut wie gar nichts gelernt. Als man den Mauerfall in Deutschland durchnahm, hatte ich ihm Bilder von meinen Besuchen in der Stadt fuer die Schule mitgegeben. So Dinge wie die Montagsdemos der Bevoelkerung waren ueberhaupt kein Thema, genausowenig deren Fluchtversuche. Aber zumindest lernte er den beruehmten Satz von Reagan "Mr. Gorbatschew, tear down this wall." *augenroll* Mit Genscher's Balkonrede in Prag konnte er dagegen gar nichts anfangen.
Dafuer hat man in all den Jahren ordentlich die US-amerikanische Geschichte durchgenommen. Was natuerlich nichts verwerfliches ist, da jedes Land erstmal seine eigene Geschichte gruendlicher durchleuchtet bevor es an andere Dinge jenseits der Landesgrenzen geht. Aber selbst die wichtigsten Ereignisse, die wirklich die Welt beeinflusst haben, wurden eher zaghaft angekratzt und das war's. Selbst 9/11 wurde mal fuer 15 Minuten angesprochen.
Interessanterweise wurde das mehr in der Grundschule "diskutiert", als jetzt in den hoeheren Klassen. Da bekommt man dann doch das Gefuehl, dass man dies bewusst tut, weil Jugendliche doch ein ganz anderes Bewusstsein haben als sechsjaehrige und somit auch unangenehmere Fragen stellen koennen.
Und das sind dann die Generationen, die damit aufwachsen, dass es ausser den USA, im Rest der Welt nichts besonderes gibt, das diskutiert werden muesste.

Ein Cousin meines Mannes ist paarundzwanzig, also noch recht jung. Der liest sich durch alles, was die Buechereien ueber Geschichte/Ausland etc. hergibt und saugt alles auf wie ein Schwamm. Der sagte mal, dass er in seiner ganzen Schulzeit nur die USA durchgenommen hat und vieles davon auch noch beschoenigt wurde und der Fokus auch nur auf den Errungenschaften der weissen Bevoelkerung lag. Er hole jetzt das nach, was er in der Schule nie gelernt hat und das kratze, laut ihm, irgendwie schon an den eigenen Vorstellungen, die man von der Heimat immer hatte. Man wird eben von klein auf gedrillt, dass die USA die Nummer 1 sind und einem keiner das Wasser reichen kann.
Ich hatte neulich mit seiner Mutter ein Gespraech bzgl. der pledge of allegiance. Fuer sie ist es sehr schwer zu verstehen, dass Aussenstehende damit Probleme haben. Sie sei so aufgewachsen und es sei sehr schwer fuer sie das kritischer zu betrachten.

Wenn man das so erfaehrt, merkt man schnell, warum dieser Stolz so extrem ist und auch viele Amerikaner so gar nicht verstehen, warum nicht jeder Feuer und Flamme fuer das Land ist. Ich hatte auch schon solche Granaten in der Familie, die sich freuten, dass ich endlich so Dinge wie Redefreiheit, etc. haette. Haetten wir ja schliesslich alles nicht in Deutschland, was einige im meinem Umfeld uebrigens daran festmachen, dass man den Holocaust nicht leugnen oder die Hand zum Hitlergruss nicht ungestraft heben darf.

Die Jahre in Deutschland und im Ausland haben meinem Mann gezeigt, dass es noch viel mehr als nur die USA gibt. Und jetzt eckt er hier drueben immer wieder mal an, weil er mit dem amerikanischen Patriotismus und dem ganzen drum und dran so gar nichts mehr anfangen kann. Er sieht vieles viel kritischer, wobei er auch mal sagte, dass er wahrscheinlich genauso geendet waere wie der Rest seiner Familie, waere er niemals ins Ausland versetzt worden bzw. erst sehr viel spaeter und/oder nur fuer kurze Zeit.

Ich persoenlich finde es wichtig sich auch kritisch mit der Heimat und der Wahlheimat (temporaer oder permanent) auseinanderzusetzen und es nicht immer als Angriff zu sehen, wenn andere das ganze etwas realistischer betrachten. Wenn die Kritik auf Unwissen und falschen Informationen basiert, ist's natuerlich etwas anderes.
Aber generell faellt es immer dann schwer, wenn man nichts anderes kennt, ausser das, was einem beigebracht wurde oder wenn man sich bewusst nur die positiven Aspekte herauspickt und die negativen komplett ignoriert. Wer also die Moeglichkeit auf einen Auslandsaufenthalt (selbst wenn es nur fuer wenige Wochen, Monate oder Jahre ist) sollte dies nutzen, um einfach auch mal etwas neues zu lernen. Egal, wo es schlussendlich hingeht, die Erfahrungen helfen einem persoenlich immer auf irgendeine Weise auch wenn es eventuell das eigene Weltbild nach und nach zerstoert.
 

Suze

Well-Known Member
Citizen
Mit allem was du schreibst hast du so recht, Lileigh! Meinem Mann geht es uebrigens wie deinem! Der ist auch wesentlich kritischer gegenueber seinem Land. Gut, als farbiger Buerger hat man es hier sowieso schwerer als viele Weisse und vielleicht sieht er die USA schon deshalb nicht ganz so verklaert.
 
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